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buch.txt


<<<< 1:Titel

Die Reise mit leichtem Gepäck
<<<< 2:Vorwort

Schon wieder irgend so ein Hanswurst, der es für nötig hält, ein Buch zu schreiben.
Mögt Ihr denken.
Da habt Ihr ja auch recht, aber ich gefalle mir durchaus in der Rolle des Hanswursts.
Seht Ihr? Und schon bin ich wieder obenauf, aber das will ich eigentlich gar nicht sein.
Das impliziert eine Überheblichkeit, die ich gar nicht gut finden will.
Ich will keine Herren und keine Diener. Alles, was ich will, sind Menschen um mich herum und keine leeren Hülsen in Menschengestalt, die meinen, sie müssten einen Platz - möglichst weit oben - im Regal dieses grossen Tiergartens auf dem Planeten Erde besetzen.
Denkt doch mal darüber nach:
Wollt Ihr in diesem Regal sitzen und Euch selbst zur Bewegungsunfähigkeit verdammen?
Oder wollt Ihr lieber frei umher rennen und Euch an der Natur erfreuen?
Meine Wahl ist eindeutig:
Ich beuge mich nicht der Hausordnung dieses Regals und springe lieber so frei herum.
Und - ich gebe es zu - ich spreche gerne schon mal mit den Regalbewohnern, um ihnen vorzuschlagen, mich einmal zu begleiten. "Na, Jungs, habt Ihr mal Lust auf einen kleinen Ausflug? Auf dem 1523. Fach in der 5543. Abteilung steht eh Euer Name, was soll also schon passieren?"
Wisst Ihr, überzeugte Regalbewohner sind nämlich sehr gesetzestreu (was grundsätzlich überhaupt nicht verwerflich ist), deswegen kann man sie sehr leicht davon überzeugen, dass ihr Abteil während ihrer Abwesenheit nicht erobert wird.
Das stimmt allerdings nur für die unteren Regalreihen, weiter oben kommt es schon mal vor, dass gerade leer stehende Fächer kurzerhand von anderen besetzt werden, teilweise sogar welche, in denen sich die eigentlichen Bewohner zum Zeitpunkt der feindlichen Übernahme befinden.
Aber das ist eine andere Geschichte, vielleicht gehe ich da noch einmal darauf ein, ich weiss allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ob ich darauf Lust habe.
Verzeit mir das Abschweifen, jetzt komme ich wieder zurück zu meiner ursprünglichen Aussage. Und die ist sehr simpel:
Wer sich gerne und viel bewegt, der darf kein unnötiges Gepäck mit sich herumschleifen

Unnötig zu erwähnen, dass das Gepäck, das ich meine, nicht in Kilogramm zu messen ist.

(Feedback zum Autor)


<<<< 3:Kapitel: Mein Freund und Kupferstecher, der Araber

Ich habe einen guten Freund in München. Sein Name ist Wa-Gi Ibn Shim-el-Sheik. Ein ausgesprochen angenehmer Zeitgenosse.
Aber offenbar ein wenig zu angenehm. Für mich natürlich nicht, aber für eingefleischte Regal-Verfechter.
Es tut mir oft in der Seele weh, wenn er sich wieder im Establishment abstrampelt, um letzten Endes doch wegen seiner "zu weichen" Art (alles, was in in Anführungszeichen setze, ist Regal-Sprache und somit selbstverständlich nicht meine) sein Ziel nicht erreicht.
Ich würde ihm so sehr wünschen, dass er sich von den Pissnelken, die ihm im Wege stehen und die nicht halb so viel auf dem Kasten haben wie er, sich die Tour nicht so vermasseln ließe.
Aber das ist immer wieder die gleiche Geschichte.
Hast Du ne wuchtige Gestalt und reisst das Maul weit auf, hast Du immer viel grössere Aussenwirksamkeit als ein hochintelligenter, zartgebauter Mann, der auch noch versucht, Frauen zu verstehen (wofür ohnehin ein Hochleistungsrechenzentrum im Oberstübchen vorhanden sein muss und selbst dann ist's noch sauschwierig).
Ich geb ja zu, ich hab dicke Waden, bringe gut 90 kg auf die Waage und mein Mundwerk kann sich auch nicht über mangelnde Bewegung beklagen.
Das heisst, ich bin genau der Typus, der eben meinem Freund Shim-el-Sheik - äusserlich betrachtet - im Weg stehen könnte.
Aber ich tu's halt nicht. Weil ich erstens (wie ich eingangs schon erwähnte) keine Diener und keine Herren akzeptiere, sondern nur Mitmenschen und ausserdem mir der Wa-Gi von Jugendzeit an viel bedeutet.

Darüber hinaus dürft Ihr Euch niemals von der äusseren Erscheinung eines Menschen täuschen lassen!
Ihr müsst schon in die Seele des Menschen schauen, um herauszufinden, was in ihm steckt (oder - am Beispiel dieses Kapitels - was potentiell in Euch stecken könnte, Mädels ;o) ).

Der Blick dafür will natürlich geschult sein, aber so schwierig ist's auch nicht.

Jetzt komme ich wieder auf mein Thema:
Habt Ihr zu viel Erwartungen und sonstige Ansprüche an Eure Mitmenschen im Rucksack, tut Euch und Eurer Seele das Kreuz von vorne herein weh.
Lasst Euch einfach überraschen, das macht Spass und befähigt Euch, Euch auch über die kleinste positive Kleinigkeit, die Ihr an EUrem Gegenüber entdeckt, herzhaft zu lachen .
Ich will hier nicht missionarisch sein, ich schreibe nur, was ich empfinde.

Das müsst Ihr mir halt jetzt glauben oder nicht ...

<<<< 4:Absatz: Warum ist das so?

Warum nur haben Leute, die lauter, stärker, frecher und schneller sind immer noch so grosse Vorteile in unsrer ach so aufgeklärten und zivilisierten Welt ?
Ein Grund dafür liegt sicherlich darin, dass wir (so als Spezies, meine ich) gefühlsmässig seit der Steinzeit noch kaum oder gar nicht vorangekommen sind.
Klar, man geht nicht mehr mit der Keule in eine Kneipe und haut einem Mädel, mit dem man sich paaren möchte, den Knüppel drauf und schleppt sie an den Haaren nach Hause.
Das hat aber eher etwas mit allgemeinem gesellschaftlichem Konsens zu tun und weniger damit, dass dem ein oder anderen der Sinn tatsächlich nach einer solchen archaischen Aktion stünde.
Daran können wir ja wohl nix drehen, ausser man würde es schaffen den Leuten operativ so im Kleinhirn herumzufahren, dass diese Urtriebe nie mehr zum Vorschein treten würde. Hmmm.

Das einzige, was man machen kann (und meiner Meinung machen sollte), wäre, diesem ungedrosselten Konkurrenz- und Machtgehabe schon frühzeitig im Kindergarten und in der Schule Einhalt zu gebieten.
Oder zumindest nicht so ungebremst zu fördern, wie es zur Zeit der Fall ist.

Eine Mathematikaufgabe hat doch immer (sofern sie in der Schule gestellt wird) eine Lösung.
Meistens irgendetwas Gerades. Wenn keine glatte Lösung herauskommt, dann ist doch was faul, oder ?
So oder ähnlich verhält es sich mit den Aufgaben in der Schule. Und das bis in die Oberstufe des Gymnasiums hinauf. Da zählt es nicht mehr, wirklich im Kern zu begreifen, worüber man da sitzt sondern nur noch stromlinienförmig zur Lösung zu gelangen.
Der, der zu langsam ist, ist der Depp.
Was, wenn es so wäre, dass man sich nicht drauf verlassen könnte, dass die Lösung immer glatt ist?
Dann sässen alle mit dicken Fragezeichen im Gesicht vor einer Aufgabe (nicht immer, aber hin und wieder mal).
Dann wär es nicht mehr sofort klar, wer der Depp ist.
Dann müssten sich die Kids auch mal zusammensetzen, was durch den Lehrer unterstützt werden sollte.
So halt, dass jeder so ein bischen mal an der Arschkarte zieht, ohne es eigentlich zu wissen.

Ist mir halt grad so eingefallen.

(Feedback zum Autor)

<<<< 5:Kapitel: Ordnung ist das halbe Leben...

..., aber eben nur das halbe.
Solange sie nicht zum Selbstzweck ausartet, ist alles noch im grünen Bereich.
Wer mich kennt, der ist wohl von der Überschrift dieses Kapitels vollständig verblüfft, ich, der Paradechaot, der nicht mal unfallfrei von 1 bis zwanzig zählen kann (ist aber auch kein grosses Problem, da ich mir für solche banalen Dinge gerne mal mit einem Script behelfe:
BEGIN{
obere_grenze = 20;
for (i = 1;i<=obere_grenze;i++)
print i " (<-- jetzt sinds noch "obere_grenze-i" zu zählen)";
exit;
}

).
Nun ja, sei's drum, mir ist der Unfug halt eingefallen, weil ich heut an eine Grenze gestossen bin, die ich nur sehr selten erreiche:
Mir wurde mein eigener Saustall zu gross.
Das will was heissen (meine Lebensgefährtin kann das bestätigen, aber die hat's eh besonders schwer mit mir, weil sie nicht nur durchschnittlich ordentlich ist, sondern ausgesprochen darauf achtet, dass alles an "seinem" Platz ist. Vielleicht muss das auch so sein, sonst würd ich wahrscheinlich irgendwann in meinem Verhau "ersticken". Nicht, dass mir das was ausmachen würde, aber es macht das Leben doch manchmal leichter, nicht vollständig abgekoppelt zu sein von den Normen dieser Gesellschaft).
Egal. Ich hab heute meine Bankauszüge von irgendwann Mitte 2005 in einen Ordner gegeben und ich fühlte mich dann auch gleich viel leichter.
Das Zeug ist im Kasten und mich muss mich nicht mehr drum kümmern.
Ausserdem verhindert das, dass beim Lüften des Büros sich einer der Zettel auf die Reise begibt und Lieschen Müller aus dem Walfischweg 37 erfährt, dass ich mir 2004 beim Sport Sohn in Ulm einen Tennisschläger gekauft habe, der eh schon längst das Zeitliche gesegnet hat.
Darf sie ruhig auch wissen, ich erzähl ihr gern bei einer Tasse Kaffee, wie sich die ganze Geschichte zugetragen hat, wenn sie's wissen will.

Aber ein etwas ungutes Gefühl ist es dann doch, wenn so "intime" Daten über sich selbst wie Kontonummer o.ä. irgendwer in die Hände bekommt.
Das wiegt unterbewusst wieder sehr schwer im Rucksack, den Deine Seele zu tragen hat und dieses gilt es zu verhindern. Mir ist das zumindest wichtig.
Unsinnig vertane Stunden, die damit zugebracht werden, nach dem kompletten Bikeequipment zu suchen (für diesen speziellen Fall hab ich eine Lösung:
Alles immer im Rucksack lassen und NIE ausräumen).

Meine Mutter hat - trotz ihrer unvergleichlichen Langmut - ein einziges Mal einen Hass auf mich gehegt, der sie fast zu Mordgelüsten verleitete:
Ihr Sprössling (in diesem Fall ich,es gibt ja drei von der Sorte) hat sich für 6 Monate zum Praktikum nach Australien verzogen und liess seine Bude im Elternhaus natürlich unaufgeräumt zurück.
Irgendwann während meiner Abwesenheit nahm sie sich ein Herz und fräste sich mit der Präzision eines Archäologen durch diesen Dschungel aus irgendwelchen zusammengeknüllten Blättern, Abiturzeugnissen, Kontoauszügen (da sind sie wieder!), Liebesbriefen, Fotos von Saufgelagen, Büchern, Bröseln, Elektronikteilen und was weiss ich nicht alles.

Das letzte Teil - ich übertreibe nicht: es war wirklich das ALLERLETZTE TEIL, DAS SIE FAND war eine Scherzkarte im Scheckkartenformat auf dem stand:
"Genies beherrschen das Chaos, nur kleine Geister halten Ordnung".

Meine Mutter ist ansonsten ein sehr rationaler Mensch, aber in diesem Moment war sie vollkommen davon überzeugt, dass ich wohl irgendwo am Ayer's Rock bei den Aboriginie-Schamanen sass und ihr via Voodoo diesen üblen Streich spielte.


So vollkommen gleichgültig jeglicher Ordnung gegenüber bin ich allerdings nicht mehr, ich erkenne durchaus die Vorteile sowohl geregelter Abläufe und anständiger geplanter Vorgänge als auch der materiellen Ordnung und der Logistik.

Das Problem daran ist nur, dass die Ordnung zunehmend - in den allermeisten Lebensbereichen - zum allgegenwärtigen und nicht hinterfragten Selbstzweck wird.

Drei Hefeweissbier sind wunderbar, zwanzig auf einmal jedoch objektiv schädlich.
So verhält sich's auch mit der Ordnung.

Das geht soweit, dass die Leute, die überhaupt noch wagen, an den eigentlichen Sinn und Zweck ihres Handelns denken, zu unverbesserlichen und asozialen Aussenseitern werden.

In meinem beruflichen Umfeld spüre ich diese Tendenz ganz deutlich.
Ihr mögt vielleicht jetzt denken, dass ich ein Opfer chronischen Mobbings in meiner Firma bin, aber das Gegenteil ist der Fall.
Das wundert Euch?
Ich werde das hier erklären : Ich bin schon immer meinen eigenen Weg gegangen, aber immer in dem Sinne, dem Projekt, in dem ich gerade arbeite, nützlich zu sein.
Das ist natürlich nicht immer das, was meine Vorgesetzten von mir wollen und wollten, aber ich hatte bisher meistens das Glück, dass das Produkt meiner (völlig unkontrollierten) Arbeit zu einem späteren Zeitpunkt zum Einsatz kam und somit dem Projekt und dem allgemeinen Arbeitsfortschritt diente.

Deswegen habe ich mir im Laufe der Zeit einen Ruf erworben, der es mir erlaubt, zu machen, was ich für richtig halte und nicht, was man mir als Arbeit aufträgt.

Ein Kompliment, das ich letztens von einem Kollegen erhalten habe und das mich sehr freute, war, dass er meinte, wenn der Gregor sich die Zeit nähme, etwas zu machen, wäre es allemal die Zeit wert.

Dabei mach ich keine tolle Sachen, mein Talent zur Prophezeiung zukünftig wichtiger Arbeitsergebnisse ist ungefähr in der Qualität wie die Aussage:
Eins plus eins ist keinesfalls mehr als drei.

Ihr denkt, ich übertreibe? Mitnichten, wer dieses Umfeld kennt und die Bodenhaftung noch nicht verloren hat, könnte das bestätigen.
Könnte.
Aber in der Regel tun die Leute das nicht, weil sie meinen, sich damit gegen Gott und die Welt zu versündigen.
Wie sagte einer meiner schwäbischen Kollegen letztens?
"So isch des eba im grossa Gschäft..."




<<<< 6:Kapitel: Mit dem Bergrad durch die Alpen

Schön war's. Nur der Vollständigkeit und der allgemeinen Belustigung halber will ich hier eingangs auf
halbwegs herkömmliche Weise die Tour beschreiben:

<<<< 7:Absatz: Die regaltaugliche Beschreibung

Dauer: 6 Tage (+1 Tag Heimfahrt mit dem Zug)
Start: Oberstdorf, Ziel: Menaggio am Comer See
Zeitraum: 16.7.2007 - 22.7.2007
Teilnehmer: 2 (Harry und ich)
Höhenmeter: 10500 (Nach Tourbeschreibung 9950, aber die Fleissaufgaben eingerechnet kommen wir lockerst über 10 km vertikal)
Kalorienverbrauch pro Tag: 4500-5000 kcal (pro Nase bzw. Stoffwechseleinheit)
Aufgenommene Flüssigkeit/Tag: 8 l Wasser/Rivella/Almdudler, 2 l Weissbier
Kinder adoptiert (insgesamt): 2
Regenmenge abbekommen: 4 (Tropfen, beim Harry waren's nur 3)

1. Tag :

Ab in Oberstdorf, Langenwang Richtung Rohrmoos/Sibratsgfäll. Schweineheiss, aber schön hinterm Hohen Ifen vorbei. Der Blick in den Bregenzer Wald von oben (1400 m) war wunderbar. Aber als wir uns dem Tal (nahe Au) näherten, fing der Teer in den Kehren an zu schmelzen. 37 Grad im Schatten und noch 1000 Höhenmeter vor uns.
Ich schob dann das Rad einfach mal. Zu Fuss geht's noch lang, auch wenn Du schon lange vom Bock fällst.
Harry hat's durchgekurbelt, aber bei mir war Schicht über 10 % Steigung. Egal, da darfst Du dann einfach nicht mehr denken.
Aber schön war's auch irgendwie. Am Faschinajoch hielten wir kurz an, um in 2 Sekunden eine Pizza und 5 Almdudlerschorlen zu verdrücken.
Von dort an ging's nur noch bergab ins grosse Walsertal.
Dachten wir.
Kurz vor Sankt Gerold, ging's nochmal 200 Höhenmeter bergan, da hat mich die Lust am Radfahren für kurze Zeit verlassen.
Durfte sie auch, nach zurückgelegten 2,2 km vertikal und 80 km horizontal und dass bei sahara-ähnlicher Hitze.
Aber interessant. Man schafft das dann doch und danach schmeckt das Weissbier umso besser.
An und für sich hatten wir noch vor, bis nach Nenzing zu fahren (von Sankt Gerold noch ca. 15 km, nur bergab), aber ich war diesbezüglich schon etwas verärgert, weil ich von Au aus die Touristeninformation anrief und mich eine Frau Dünser bat, sie kurz vor 18 Uhr nochmal zurückzurufen, falls wir sicher wären, dass wir auch in Nenzing
ankommen. Doch hatte ich beim zweiten Anruf nur noch mit Ihrem Anrufbeantworter das Vergnügen.
Das war richtig Dirty Nenzing, dachte ich mir und ich hatte wirklich keine Lust mehr, dorthin zu fahren.
Ich musste Harry nur ansatzweise überreden, an der nächstbesten Pension stehen zu bleiben und Quartier zu machen.
Das Essen und das Weissbier waren gut und wir dachten nur sehr kurz daran, uns ein Taxi zu bestellen, das uns nach Bludenz zu einer Tanzhalle fahren sollte.
Harry hat noch den Rhythmus zu "Rhythm is a Dancer" im Radio mit dem Fuss markiert, aber ich blieb davon völlig unberührt.
Er hat sich noch unter die Eingeborenen gemischt und ich hab den ORF1 Teletext auswendig gelernt, bis ich eingeschlafen bin ...


2. Tag :

Halali! Auf geht's zur zweiten Etappe. Ich fühlte mich sehr wohl - den modernen Nahrungszusatzmitteln sei Dank! - , keine Krämpfe, kein sonstiger
Muskelschmerz, auch sonst kaum Beschwerden (ausser im Analbereich, aber dieser sollte in den kommenden Tagen noch mehr strapaziert werden).
In Nenzing (500 m ü.M.) angekommen ging's auch gleich wieder steil bergauf, Piste bis zum Mattlerjoch (1850 m ü.M.).
Anstrengend und heiss war es wie am Tag zuvor, doch kamen wir an diesem Tag schnell auf die Höhe und somit war die Hitze erträglich.
Die Einkehr auf der Gampenalpe war wunderbar. Von hier aus ging es gemässigt steil bis zum Mattlerjoch, Schiebepassage von 30 min inklusive.
Schon wieder hat mich die Kraft verlassen und ich kam beim Schieben nur noch schleppend voran.
Der Vorteil dabei war, dass ich diesen Zustand der völligen Kraftlosigkeit schon vom Vortag kannte und diesen sogar mit viel Humor nahm. Somit konnte ich auch ohne Reue und ohne Furcht vor dem weiteren Verlauf der Etappe (wir hatten schliesslich erst 1300 Höhenmeter absolviert und noch ca. 1000 vor uns) die Landschaft geniessen, die hier wahrlich grandios war und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit jetzt noch ist.
Herrlich, dort oben!
Die Abfahrt nach Steg in Liechtenstein war sehr angenehm, was wir mit einer Portion fettiger Rösti und 4 Apfelsaftschorlen feierten.
Zur Pfälzer Hütte waren es nunmehr nur noch ca. 900 Meter nach oben, aber das ging dann wieder flott und lustig.
Bei der Auffahrt kam uns ein Pärchen entgegen und der weibliche Teil desselben spürte wohl unsere ausgelassene Stimmung und hat uns ohne Umschweife angequatscht.
Es soll ja Mädels geben, die so unendlich verschwitzte, stinkende, radfahrende Deppen wie uns erotisierend finden...
Sachen gibt's. Naja, wir kurbelten fröhlich weiter und dachten uns, dass ihr Macker die Aktion wohl gar nicht lustig fand und schmunzelten in uns hinein.
Die Hitze des Tages hat sich gnädig gezeigt und uns einen wundervollen Abend auf 2150 m über dem Meer beschert.
24 Grad Celsius um 19 Uhr auf deutlich über 2000 Metern Höhe mit einer wundervollen Aussicht ist ein Genuss der Extraklasse...
Spaghetti mit Tomatensauce ist ein Feinschmeckermenu nach so einem Tag, kann ich Euch sagen....
Abends hatten wir es dann noch richtig lustig, eine Liechtensteiner Mama (die ursprülich aus Sachsen (!) kommt) war mit ihren zwei Kindern , Enrico(8) und Milaine(5) zugegen.
Den beiden war furchtbar langweilig, bis sie uns zwei grosse Kinder entdeckt haben.
Wir machten allerlei Faxen und sassen auch nach Sonnenuntergang noch am Tisch in der Hütte zusammen, abschliessend haben sie uns zu ihren Lieblings Teddybären gewät...
Danach haben sie sich noch an uns hingekuschelt und wir fühlten uns so rundum wohl, im Bewusstsein, was für sich selbst getan und zwei Kindern eine grosse Freude gemacht zu haben.


3. Tag :

Welche Landschaft hier oben! Im Morgenlicht fast noch beeindruckender als am Vorabend. Wir tauchten vom Bettlerjoch aus auf dem Liechtensteiner Höhenweg in diese Schönheit ein und bewegten uns in Richtung Barthümeljoch (schiebenderweise). Die in der Tourbeschreibung angekündigten ausgesetzten Stellen, die alpine Erfahrung voraussetzen, erwiesen sich als sehr harmlos, so dass wir uns voll auf das unglaubliche Panorama konzentrieren konnten.
An der Östereichisch-Schweizerischen Grenze angekommen, stiegen wir wieder abwärts und spürten den Hitzenebel schon wieder aus dem Hochtal der Flaschler Alpe heraufsteigen.
Der kleine Gegenanstieg von 250 m auf den Kamm, von dem aus es schnell bergab bis ins Rheintal ging, hat uns wieder in den Kurbeltrott versetzt, den wir auf dieser Etappe noch bis zum Exzess auskosten sollten. Aber nach der Abfahrt wartete erstmal die Einkehr im Rheintal , genauer gesagt in Maienfeld, der Hauptstadt des "Heidilands". Es begrüssten uns tausende von geklonten Ziegenpeters, Heidis und Alm-Öhis in Ton, Plastik, auf Teller gemalt und in manch anderer Form.
Wir labten uns an den fettigen, versalzenen Röstis und Currywürsten (köstlich! Was der Körper gerade braucht, das schmeckt ihm halt...) und überqerten dann den Rhein nach Bad Ragaz (was für ein Bonzennest! Ich fühlte mich fast versucht, den Golfplatz als Bikepark zu missbrauchen...) und fuhren in die Taminaschlucht hinein.
Schon wieder ein landschaftlicher Höhepunkt, wir fuhren zwar auf der Strasse, aber die gewaltigen Berge, die uns umringten, machten den Weg wieder wett, die Wolken um die Gipfel, die sich zu Gewittern entwickeln drohten, verstärtkten die Stimmung zusätzlich.
Sei es, wie es ist, die Etappe war bis dahin ziemlich lang, es war schon fast 17 Uhr und wir hatten noch nicht mal die Hälfte der heutigen Etappe zurückgelegt.
Uns war in diesem Moment klar, dass wir im Vorfeld schon 20 Stunden die Woche trainieren hätten müssen, um diesen Trott in einem Tag zu schaffen.
Aber so kehrten wir erst noch einmal am Kunkelspass auf eine schöne Rivella-Schorle ein und genossen die Aussicht.
Die Abfahrt von dort in Rheintal nach Tamins war sehr schön und kurzweilig, wir überquerten den Rhein, die Autobahn und die Eisenbahnstrecke und suchten den Radweg, der uns über dem Hinterrhein in Richtung Thusis voranbringen sollte.
Prompt haben wir uns etwas verfahren, aber der Trampelpfad direkt am Ufer war schon auch lustig zu fahren (Somit war das Rhein-Bikic erfunden!)
Wir fuhren und fuhren und irgendwie ging es auf 20 Uhr zu.
Sogar Harry hatte heute etwas die Lust am Strampeln irgendwo auf der Strecke an einem Baum hängen lassen und fuhr so vor sich hin.
Meinen Zustand zu diesem Zeitpunkt würde ich eher als Trance bezeichnen (was gar nicht unangenehm war), aber in jedem Fall mussten wir jetzt zusehen, dass wir vor Einbruch der Dunkelheit ein Quartier bekamen. Die Orte auf dem Weg nach Thusis hatten diesbezüglich so gut wie nichts zu bieten, weil hier offenbar nur reiche Zürcher Bürger ihre Ferienhäuser stehen haben und kein Platz ist für zwei abgerackerte, verschwitzte Radfahrer, die darüberhinaus - in diesem Moment - den sofortigen Tod für herumstehende Hefeweizen bedeuteten.
Angekommen in Rodels - eben einer dieser oben genannten Orte - sahen wir ein Schild, das zum "Landhus Almens" führte, das zweifelsfrei zu verstehen gab, dass es dort Essen gegen Bezahlung gäbe.
Ein Einheimischer sagte uns auch, dass dieses "Landhus" auch 1-2 Gästezimmer hätte und so bestand ich darauf, dorthin hoch zu fahren.
Hoch.
Lediglich 100 Höhenmeter auf 1,5 km, aber eben hoch.
Nach 12 Stunden im Sattel ist das halt doch eine gewisse Hürde und Harry hätte mich wohl umgebracht und umgehend auf dem örtlichen Friedhof beigesetzt, hätten wir dort nicht das gefunden, was wir suchten.
Aus der Tatsache, dass ich hier sitze und diese Zeilen schreibe, könnt Ihr jedoch schliessen, dass wir dort gut zu essen und ein Zimmer bekommen haben.
So lecker hat mir noch kaum ein Weissbier geschmeckt als an diesem Abend.


4. Tag :

So ganz leicht memmenhaft kamen wir uns heute schon vor, weil wir die Etappe vom Vortag nicht zu Ende brachten und heute eben den "Rest" vom Vortag erstmal bewältigen sollten/mussten/durften/wie-auch-immer.
Die Bedenken haben sich aber ziemlich schnell gelegt, weil wir einsahen, dass eine Etappe von 3200 Höhenmetern und 100 km Strecke eher Wahnsinn als eine sportliche Geschichte ist, zumal ein gutes Stück davon zu schieben war.
So fuhren wir vor uns hin erstmal 400 m in die Höhe nach Muldain oberhalb der Albulaschlucht, danach genau so viel wieder hinunter und dann wieder auf der Strasse 1000 Höhenmeter über Mutten bis nach Obermutten.
Das war die Endstation des Vortags.
Hätten wir diese Etappe schaffen wollen, wären wir bis 2 Uhr morgens unterwegs gewesen.
18 Stunden unterwegs an einem Tag ist halt doch sehr viel. Zu viel. Und sowas macht mir keinen Spass mehr, Harry schloss sich meiner Meinung an und als wir da im Gasthof zur Post in Obermutten sassen, malten wir uns aus, wie es nun wäre, weiter zu fahren und diesen wunderschönen Ort so ohne ihn eines längeren Aufenhalts zu würdigen hinter uns zu lassen.
Wieder hinunter ins 35 Grad heisse Hinterrheintal und versuchen den "Rückstand" aufzuholen?
Wo es hier an gutem Essen, fantastischer Aussicht und endlosen Weissbiervorräten nicht mangelte?
Nein. Aus. Rad festgezurrt, Quartier gemacht und Weissbier bestellt.
14:38 Uhr, blauester Himmel und 28 Grad auf 2000 m.
Hier war die Tour zu Ende für diesen Tag.
Unseren Reservetag haben wir hiermit verbraten.
Und gut war das!

Wir gingen natürlich nicht sofort zu Bett, wie zwei streunende Hunde zogen wir um die Häuser, besuchten die Holzkapelle (die höchstgelegene Europas) und stiegen noch die paar Meter bis zum Muttner Höhi, wohl einer der schöneren Aussichtspunkte, die ich in meinem nicht mehr ganz so jungen Leben betreten habe.

Da oben, so ganz allein, verspürte ich einen unwiderstehlichen Drang, meinen schon sehr mitgenommenen Arsch an die frische Luft zu setzen. Welch erhebendes Gefühl, solch einen Ausblick so ganz ohne müffelnde, triefend nasse Radkleidung zu erleben...


Die Terrasse des Gasthofs zur Post gab einen idealen Platz zur geistigen und körperlichen Erholung ab. Unsere Weissbiergläser begannen, sich ausgelassen zu unterhalten und mein kleiner textiler Reisebegleiter, das Reisebärle, hüpfte vergnügt auf dem Balkongeläder herum (naja, der letzte Abschnitt ist wohl kaum was für Regalfetischisten, aber von denen verirrt sich ja kaum einer hierher...)

So liessen wir Seele und sonstiges baumeln, bis uns nach dem Abendessen der zum Monster mutierte Schlaf überfiel...



5. Tag :

Wohl dem, der seinen Reservetag maximal lustbringend einsetzt! Mit frischem Mut fängt die Tour an diesem Tag mit einer wunderbaren Abfahrt an.
Das hintere Hinterrheintal liegt unter uns, an dessen Ende geht nach rechts ab die Autobahn Richtung Italien über den San Berardino nach links unsere Route: Die Via Mala nach Avers-Juf, der höchstgelegenen, ständig bewohnten Ansiedlung Europas (eigentlich will so ein Prädikat gar nichts heissen und dann auch noch darauf stolz zu sein, in diesem traurigen Nest zu wohnen, finde ich sehr merkwürdig).
Der Downhill war herrlich und die 40 km Strasse, die wir danach gestärkt vom Vortag recht fix zurücklegten, auch nicht so schlimm, zumal die Tiefblicke in die Roflaschlucht atemberaubend waren.
Tja, das war's eigentlich schon von der 5. Etappe nach mickrigen 1300 Höhenmetern.
Ausreichend Zeit zum Ausspannen, dumme Sprüche abzulassen und sich angesichts der unheimlichen Stimmung in Juf zu gruseln. Wie eigenartig das war. Das Wetter wunderbar, nur ein paar Wolken, die sehr unglaubwürdig drohten, sich zum Gewitter zu entwicklen, die Landschaft karg, aber schön, Murmeltierpfiffe von allen Seiten und trotzdem.
Trotzdem, trotzdem. Ein ungemütlicher Geist ging um, Harry ging es genau so. Massengrab, Opferstätte, alles zusammen, irgendwas in diese Richtung ...
Vielleicht hatte uns auch die Sonne schon unser Hirn aus dem Schädel gebrannt und liess uns diesen Schauer über den Rücken laufen.
Vielleicht war's auch das Massenlager der Pension Edelweiss im Keller, der eher einer Folterkammer als einer Schlafkammer ähnelte...
Doch so schlimm war's dann doch nicht. Etwas Bier und einige dumme Sprüche später war das alles nicht mehr so unangenehm und wir hatten abends schon noch zu lachen, und vor allem viel zu essen, da die Herbergsmutter Erbarmen mit uns hatte und uns - ohne Aufpreis - das Menu zweimal servierte...
Und danach? Ab ins Bett mit den zwei Deppen...



6. Tag :

Der letzte Tag ist angebrochen. Und wie bestellt haben sich die Wolken der Nacht rechtzeitig zum Frühstück verzogen. Eine wunderbare Kulisse aus Bergen, die wie gigantische, gras- und mossbewachsene Burgmauern um uns herum in den dunkelblauen Himmel ragten.
Wir radelten leichten Mutes den Sentiero Walser entlang, nur 10 Minuten, danach ging's im Schneckentempo mit geschobenem Rad eineinhalb Sunden hinauf zur Forcellina, dem höchsten Punkt unserer Tour, 2672 m.
Wir genossen den Ausblick, schossen noch ein Foto mit dem Handy und mussten das umgehend unserem treuesten Fan, dem Jens Bergmann, per MMS zuschicken.
Wir hatten das Gefühl als wäre er im Geiste in den vergangenen Tagen immer bei uns gewesen. Und wenn er nicht Lehrer und ein bisschen mountainbikescheu wäre, hätten wir wohl einen Mitfahrer mehr gehabt.So hat er sich darauf konzentriert, uns moralisch von Ferne zu unterstützen.
Naja, wieder zurück zur Tour: Von der Forcellina abwärts ging's zum Septimer Pass (dort war ich vier Jahre zuvor schon mal gewesen, auch auf Alpenüberquerung, aber etwas sanfter als dieses Mal) und von dort steil hinunter ins Bergell. Casaccia, Chiavenna (schönes Städtchen übrigens) und weiter auf der Strasse nach Gravedona am Comer See.
Schon ein bischen stolz setzten wir uns in die nächste Kneipe am Seeufer und genossen unser Zielbier.
Jetzt nur noch rauf auf's Boot und ab nach Como.
So hatten wir uns das vorgestellt.
Leider nahm uns das Boot mit den Bikes nicht mit. Wir fragten bei der Touristeninformation, wo wir die Auskunft bekamen, in Menaggio, 15 km seeabwärts, nähmen uns die Boote mit.
Jetzt war's auch schon egal 85 oder 100 km auf dem Rad. Ab nach Menaggio und wieder eine Abfuhr am Bootsticketverkauf. Schnauze voll. Die 40 km nach Como wollten wir nicht mehr auf dem Rad an der Küstenstrasse zurücklegen. Wir stiegen mit den Rädern in den Bus ein, der Busfahrer war sauer, dass wir am Tabakladen keine Tickets gekauft haben und liess mich auf kurzem Umweg durch die Stadt aussteigen und ein Ticket lösen.
Jetzt war er sauer und fuhr mit seinem Bus wie ein Schwein. Auch nicht schlecht, so hat er die durch uns verursachte Verspätung locker wieder reingefahren. Ich Dhab nicht aufgepasst, wen und was er alles auf seinem Höllenritt alles gefährdet hat, aber da war sicherlich einiges ....


Como war ganz schön ausgebucht, aber schliesslich fanden wir ein nettes Hotel, nach ausgiebiger Wäsche und leckerer Pizza beschlossen wir die Tour unter dem Duomo di Como bei einem schönen Eis.
Schön war's.....
   


<<<< 8:Absatz: ... und was ich eigentlich über die Radtour schreiben wollte


Jetzt - also einige Zeit, nachdem ich die Tourbeschreibung zu Ende brachte - will ich die Tour aus einem anderen Blickwinkel beschreiben.
Ich hatte dies gleich zu Anfang an vor, aber ich musste mich erstmal einige Zeit über die oben stehende Geschichte freuen.
Das Feedback war sehr positiv, ich denke, einige Leute habe ich auch mit der Idee, sich auf dem Drahtesel über die Alpen zu quälen, angesteckt: Stefan und Frank haben's gleich in die Tat umgesetzt und fahren jetzt dann im September 2007 von Oberstdorf nach Riva del Garda auf der klassischen Heckmair-Route.
Naja, erstmal abwarten, bis sich der Schneefall legt und die Nullgrad-Grenze sich (von unten) auf die 2000 m zubewegt.
Egal, ich schweife ab.

Der Gedanke hier ist: Viel arbeiten, dabei das Maul halten und sich danach ein Stück weit über das Geleistete freuen, sich angemessen belohnen. Überlade Dich nicht, sonst gehst Du dabei drauf. Aber unterfordere Dich auch nicht.
Zuviel ist Deines Körpers Tod, zu wenig Dein (schleichender) geistiger Exitus.


Harry war mir während der ganzen Tour natürlich konditionell überlegen. Das war aber auch nicht schlimm. Ein schlechtes Gewissen hätte ich nur gehabt, wenn er auf dem Rad eingeschlafen wäre, aber so weit kam's dann doch nicht.
Am Ende schmerzte uns der Arsch gleichermassen und schliesslich war das für uns beide körperlich das Anstrengendste, was wir je unternommen haben.




Zwischenspiel
Normalerweise interessiert mich Zeit eigentlich gar nicht. Und Zeitverwaltung oder "time management", wie der letztens vom Zeitgeist befohlene Ausdruck lautet, ist mir völlig fremd und stellt für mich nur eine weitere Massnahme der Gesellschaftskonformisierung der Menschheit dar.
Naja, ich bin kein Tibeter und will mich nicht über Menschenrechtsverletzungen beklagen, unter denen ich zur Zeit zu leiden habe.
Aber ich habe jetzt 7 Monate nicht geschrieben und jetzt mach ich wieder weiter.
Hat sich vieles getan in der Zeit. Nicht ässerlich , aber in mir rumort es, mein zweites Kind kommt bald zur Welt und ich orientiere mich wieder vollständig neu.
Ich habe das Gefühl, dass ich meinen Geist wieder zurücksetze, alles in Frage stelle, keine Gewöhnung an meine Umwelt zulasse.
Ich beginne praktisch das Leben neu mit meinem 2. Kind.
Das wird mir natürlich nur eingeschränkt gelingen, denn sonst müsste ich auch das Schreiben und Lesen, die Muttersprache, die Telefonnummer meines Steuerberaters und vieles mehr vergessen.
Ich habe das Gefühl, wieder zurückzukehren aus dem Hades und sage jetzt der Unterwelt Tschüss!



<<<< 9:Absatz: Das Ende des Radlieds

Wieder zurück vom Zwischenspiel:
Zu viel ist nix, zu wenig ist nix.
Das gilt für alles.
Ich habe dafür aus der Tierschutzterminologie einen Ausdruck geliehen: Artgerechte Haltung.
Was für Hühner gilt, sollte für Menschen genauso gelten.
Es tut einem Menschen schlichtweg nicht gut, in ein Büro eingepfercht zu sein, um darin 80 Stunden pro Woche zu rackern.
Aber damit nicht genug:
Wenn es dem Geknechteten gelänge, ausserhalb der Arbeitszeit abzuschalten, wäre das kein Problem.
Aber unsere Spezies mit ihrer überentwickelten Grosshirnrinde schafft es einfach nicht, das synaptische Schwungrad so schnell herunterzubremsen.
Wir brauchen "Luft", wir können nicht 100% geben und sofort wieder auf Null Leistung gehen.
Aber das Problem sind nicht die anderen. Das Problem sind wir selbst.
Wir haben selbst auf uns zu achten. Uns selbst einer "artgerechten Haltung" zuzuführen.
Viel Sport und Bewegung ist immer ein probates Mittel, das birgt aber auch ein gewisses Suchtpotential.
Lasst Euch von nichts und niemandem zu etwas drängen.
Gleitschirmfliegen bringt Euch Freiheit? Vielleicht.
Aber stellt Euch mal folgende Situation vor: Schönstes Wetter, nur zu starker Wind, nicht fliegbar.
Knechtest Du Dich, dann bist Du an einem solchen Tag unzufrieden, weil Du nicht abheben kannst ohne Dein Leben aufs Spiel zu setzen.
Ich lass mir da lieber die Sonne ins Gesicht scheinen und grinse in mein Weissbier hinein.
Natürlich nicht, ohne zuvor eine Stunde auf dem Rad gesessen zu sein oder einfach die Kinder durch die warme Sommerluft geschoben zu haben.
Ich denke, es gibt nur ganz wenige, die das in Vollendung schaffen.
Solange man lebt, hat man immer irgendwelche Begehrlichkeiten, die nicht sein müssten.
Aber man sollte sich bewusst sein, dass man sich auch von den spektakulärsten Freizeitangeboten nicht knechten lassen sollte.
Ich weiss. Das ist Erste-Welt-Philosophie. Auf der anderen Seite finde ich auch diese wichtig.
Erstens, weil damit viel unnötiges Leid leicht zu mildern wäre.
Zweitens, weil dadurch so viel Energie in unserer westlichen Welt freigesetzt würde, die durchaus den Schwellenländern und der dritten Welt zu Gute käme.
Ich glaube da schon dran ....

<<<< 10:Kapitel: Religion...

... ist etwas, worüber ich hier nicht schreibe.
Dafür ist das Wort schon zu oft missbraucht worden, von Islamisten aus der arabischen Welt.
Von den Kreuzzüglern im Mittelalter.
Von den Kreuzzüglern heute in den Vereinigten Staaten.
Von vielen anderen fanatischen Gotteskriegern weltweit.
Was heilig ist, hat nichts mit Religion oder Kirche zu tun. Im Gegenteil.
Diese fetten, vollgefressenen, menschenverachtenden Kardinäle sollen Heilsbringer sein?
Al Kaida die Vertretung Allahs auf Erden?
Wo samma, Osama?
Unter diesem Link habt Ihr eine Chance, Antworten zu finden.

Stimmt nicht wirklich. Antworten werdet Ihr bei Willigis Jäger nicht finden.
Wenn Ihr "es spürt", werdet Ihr sehen, dass er Euch aus der Seele spricht und das macht er verdammt gut.
Wenn nicht, werdet Ihr nach spätestens zwei Tagen nicht mehr wissen, was Ihr da gelesen habt.

Antworten, die mittels Sprache übermittelt werden, sind keine Antworten.

Ludwig Wittgenstein hat fast sein ganzes Leben damit verbracht, die perfekte Sprache zu entwickeln.
Wozu?
Um am Ende seines Schaffens festzustellen, dass das nicht geht.
Aber trotzdem fand er es geil, sein ganzes Leben einem so aussichtslosen Unterfangen verschrieben zu haben.
Diese Einsicht - und vor allem seine eigene Reaktion darauf - wiederum finde ich wiederum ziemlich geil.
Weil er doch wahnsinnig viel geschrieben und sich aufgeplustert hat und am Ende sich schiefgelacht hat über seine eigene Winzigkeit, Lächerlichkeit.

Sprache kann faszinierend sein. Aber sie ist es nur für den, der schon selbst Magie erlebt hat und über Magie oder Magisches liest.
Magie. Scheisse, was ist Magie?

Auch wieder nur ein Wort unter vielen.
Ich bin jetzt schon ziemlich lange im Schwabenland, was in mir wohl offenbar schon etwas Sparsamkeit induziert hat.
Eine fantastische Möglichkeit sich die horrenden Kosten für den Psychiater zu sparen ist, sich mit dem Bergrad auf einen Hügel zu schinden, oben anzukommen, sich hinzustellen, zu lachen und "Ich bin Scheisse!" zu rufen, mit oder ohne Publikum, mit ist's allerdings lustiger.

Ob man schon wirklich innerlich zu dieser - in jedem Fall zutreffenden - Einsicht gelangt ist, ist nicht entscheidend.

Es befreit.
Wovon?
Von dem Druck, den man sich selbst erzeugt, in der Gesellschaft bestehen zu müssen, etwas "darzustellen".
Von dem Druck, einen längeren Penis haben zu müssen.
Von dem Druck, superschlank sein zu müssen.
Von dem Druck, die schärfste Braut auf der Party abschleppen zu müssen.
Von dem Druck, einen höheren IQ als seine Freunde haben zu müssen.
Von dem Druck, besser stricken, kochen, Autos reparieren, Häuser bauen oder sonst etwas besser können zu müssen.

Von dem Druck, über irgend etwas in dieser oder einer anderen Welt Kontrolle haben zu müssen.

Hört sich nach Selbstaufgabe an, oder?

Nein. Wenn Ihr das mal schafft (ich habe es schon manchmal geschafft, aber immer klappt's auch nicht...), dann seid Ihr für Eure Familie, Eure Umwelt, Euren Arbeitgeber, Eure Kunden eine Bereicherung, die ihresgleichen sucht.

Mehr kann ich zu diesem Thema jetzt nicht sagen. Ist auch schon spät ....

<<<< 11:Kapitel : Der Schwarze Schwan

Schon lange hat mich kein Buch mehr so in seinen Bann gezogen wie "Der Schwarze Schwan" von Nassim Nicholas Taleb.
Bitte auch nachzulesen auf Wikipedia unter http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Schwarze_Schwan

Ehrlich gesagt , habe ich auch schon geraume Zeit lang kein Buch mehr gelesen , nichtsdestotrotz hat mich dieses Werk dazu bewegt , mal wieder ein paar Zeilen zu schreiben ...

Man könnte meinen , er hätte von mir abgeschrieben, aber auf Grund der literarischen Güte seines Werks ist man eher dazu verleitet , das Gegenteil anzunehmen und mich als Kopisten hinzustellen .
Gut, dass ich diese "Ergüsse" nicht als Grundlage einer Doktorarbeit verwendet habe, verwende oder verwenden werde , sonst müsste ich Plagiatsvorwürfe fürchten im Falle , dass ich zu der dazu notwendigen Prominenz
in der Politik gelänge.
Das wäre dann ein Schwarzer Schwan , ein höchst unwahrscheinliches Ereignis also.
Aber solltet Ihr das Buch lesen , werdet Ihr einsehen , dass man vor Schwarzen Schwänen nie sicher ist .
Lustigerweise musste ich beim Lesen oft an Zaphod Beeblebrox aus Per Anhalter durch die Galaxis , eines meiner wenigen Lieblingsbücher , denken:
Der Präsident der Galaxis, der die "Heart of Gold" gekapert hat, ein Raumschiff mit "Infinite Improbability Drive" , also Antrieb durch unendliche Unwahrscheinlichkeit.

Wem Douglas Adams im Allgemeinen (Gott, Allah oder wer auch immer hab ihn selig!) und "Per Anhalter durch die Galaxis" im Speziellen zu klamaukig vorkommt, sollte vielleicht die Reihenfolge der
zu lesenden Bücher so wählen , dass er zuerst den Schwarzen Schwan durchackert und danach zum Anhalter übergeht , um die philosophische Dimension der erzwungenen Flucht von Arthur Dent mit seinem
Freund vom Stern Beteigeuze vor der bevorstehnden Zerstörung des Planeten Erde besser verdauen zu können.
(Allerdings hat Douglas Adams auch andere Bücher geschrieben , Die Letzten Ihrer Art, eine wunderschöne Abhandlung über aussterbende Tierarten,
auch wärmstens zu empfehlen...)

<<<< 12:Absatz : Platonischer Fehlschluss , oder : "Ordnung ist das halbe Leben"

Das ist eigentlich der Hauptaspekt des "Schwarzen Schwans" :
Der Mensch will alles irgendwie unter Kontrolle haben , will Vorhersagen, will Erklärungen für alles , um jeden Preis.
Auch um den Preis, damit völlig auf den Holzweg zu gelangen .
Ich habe das in einem der vorigen Kapitel , "Ordnung ist das halbe Leben" ... aber eben nur das halbe , auch angesprochen .
Da ging es darum , das man mich in der Arbeit einfach machen lässt , einfach , weil in manchen Bereichen die Leute so sehr im Abhängigkeitensumpf ihrer unprofessionell vereinfachten "platonisierten"
Darstellung der Wirklichkeit stecken, dass sie sich selbst zur Bewegungslosigkeit verdammt haben .

Im Arbeitsumfeld geht das ja noch, da werden diese fatalen "Abbilder der Wirklichkeit" (Berichte über Arbeitsfortschritt, Testberichte , Berichte über Kosteneinsparungen , die
als Gewinn ausgewiesen werden, aber nur dadurch , dass man das teuerste und qualifizierteste Personal rausgeworfen hat , erreicht wurden etc etc ) spätestens bei der Pleite des Unternehmens sichtbar ,
davon sind unter Umständen viele , aber in der Regel keine volkswirtschaftlich relevante Anzahl von Mitarbeitern , betroffen .

Trotzdem ist das vom Prinzip her schon mal das , was der Nassim Taleb beschreibt...

Der Nassim führt die menschliche Sucht nach Kontrolle vornehmlich auf evolutionäre Prozesse zurück, aber meines Erachtens ist in neuerer Zeit auch noch ein Grund dazugekommen :

Das Paradoxon des Expertentums :
Je mehr man sich mit einem Thema befasst, desto geringer ist der gefühlte Anteil dessen , was man von Ganzen versteht.
Einige - z.B. Physiker wie Heisenberg - sind über ihre Wissenschaft zu tiefer Religiosität und Spiritualität gekommen, andere - die meisten - hingegen wählten den einfachen Weg, schlossen ihre Studien viel zu früh ab und vereinfachten um jeden Preis.
Für mich ein Hauptgrund des übels.

<<<< 13:Absatz : "F***-you Geld" , oder : "Die Reise mit leichtem Gepäck"

Ich habe mich schlapp gelacht über diesen einen Absatz in Talebs Buch, als er beschrieb , wie er sich in einem Job seinen Weggang fürstlich entlohnen lies - mit eben diesem F***-you Geld, das
ihm ermöglichte , sich fürderhin mit den interessanten Dingen des Lebens zu beschäftigen , ohne auf die wirtschaftlichen Aspekte seines Tuns Rücksicht nehmen zu müssen.
Am besten war die Erklärung zur Herkunft des Namens:
Das Eigentum an einer unabhängig machenden Geldsumme , erlaubt Dir, am Telefon "F***-you!" zu sagen BEVOR Du den Hörer auflegst...
Wie scharf...

Aber ganz, ganz wichtig: Einfach so wenig wie möglich sich von irgendwelchen Dingen abhängig machen.
Man hat eh schon ausreichend Zwänge und Verpflichtungen in dieser Gesellschaft, also gilt es , sich der unnötigen und lästigen Fesseln zu entledigen oder sie sich erst gar nicht
anlegen zu lassen .

An anderer Stelle meinte er, es hätte auch keinen Sinn, zu rennen, um einen Zug noch zu erwischen.
Dieses "Rennen" ist das Akzeptieren der Spielregeln des Eisenbahnbetreibers und wenn man den Zug verpasst, dann hat man das Spiel verloren.
Rennt man nicht, spielt man das Spiel nicht mit und kann somit auch nicht verlieren .

Ich muss zugeben , auf dieser Ebene bin ich noch nicht, aber ich finde den Gedanken faszinierend...

<<<< 14:Absatz : "Die ludische Verzerrung" oder "Warum ist das so?"

Dies ist ein wesentlicher Punkt in Talebs Buch und ich habe das auch zuvor im Absatz "Warum ist das so?" angesprochen, nicht von der Sache her, jedoch vom Prinzip.

Also, was Taleb "ludische Verzerrung" nennt ist folgendes (aus Wikipedia):

"Der Glaube daran, dass der strukturierte Zufall, wie er in Spielen anzutreffen ist, dem unstrukturierten Zufall im Leben gleicht. Taleb beanstandet die unreflektierte Anwendung von Modellen der modernen Wahrscheinlichkeitstheorie wie dem Random Walk"

Was hat das mit meinem Kapitel "Warum ist das so?" zu tun ?

Einfach : Schon in der Schule werden wir darauf getrimmt, vor allem im Mathematikunterricht, dass bei allen Aufgaben "etwas Glattes" herauskommen muss. Naja, nicht immer , aber implizit wird das angenommen und den Schülern wird kaum abverlangt, sich mal in "etwas hineinzubeissen", es gilt immer nur in möglichst kurzer Zeit, nicht hinterfragte Modelle und Formeln anzuwenden.
Dafür ist die Zeit zu knapp.
Die Aufgaben sind immer zeitbegrenzt und nicht ergebnisbegrenzt.

Dieses Prinzip , das wir eben in der Schule schon vermittelt bekommen , führt zu dieser "ludischen Verzerrung".

Man wendet Modelle zur Aufgabenlösung an und geht dabei von unzulässigen Annahmen aus.

Man hütet sich davor , einen laufenden Fön in das Badewasser zu tauchen . Warum eigentlich? Reines Wasser ist der perfekte Isolator .
Genau das ist der Punkt . Reines Wasser gibt es quasi auf der Erde nicht, diese Annahme ist gefährlich . Da sind immer irgendwelche bösen Salze in stromleiteder Ionenform drin , die uns besser davon abhalten sollten , das Badewasser mit einem 220 V führenden Draht in Verbindung zu bringen.

Die gaussch verteilte Zufälligkeit (und die ähnlicher, statistischer Modelle wie der Poissonverteilung) ist in der realen Welt sehr mit Vorsicht zu geniessen.
Das heisst nicht, dass sie nicht anwendbar ist.
In der Physik , in der Signaltheorie , in der Chemie , im Spielkasino leistet dieser Ansatz vorzügliche Dienste (naja, beim Spielkasino lediglich dem Betreiber ..).

Aber versuchen zu wollen, damit soziologische und massenpsychologische Vorgänge zu analysieren , ist töricht und gefährlich.

Ein Beispiel aus Talebs Buch finde ich diesbezüglich sehr anschaulich :

Eine Münze wird 100 mal geworfen , es ist schon 99-mal "Kopf" gefallen.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit , dass die Münze beim 100sten Mal "Zahl" zeigt .

Die richtige Antwort lautet 50% . Reines Wasser .

Auf die Antwort : "Höchstens 2% , die Münze ist doch gezinkt" hätte es in der Schule keine Punkte gegeben.
Aber sie ist definitiv realistischer . Immer diese bösen Ionen :-)





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